Darf's noch etwas tödlicher sein?

Teil 1 - Alexander Scivos
Verdammt! Jetz’ aber mal schnell, Kerlchen! Autsch! Los, reg dich, mein blöder Body. Mein Gott, es gibt ja wohl nix dümmeres als wenn dein eigener Körper streikt, und das auch noch im entscheidenden Augenblick...
Autsch! Mensch ich Idiot. Lieg noch so blöd im Dreck rum. Muss weg hier. Mein Gott, ich häng fest. Fühlt sich an wie ne Schnur oder n’Draht.
Da lieg ich nun, im Dunkeln, im Staub. Allein. Häng fest. Wie konnte das nur passieren? Warum hat sich grad heut was geändert in dieser blöden Straße? Keinen Abend in drei Jahren irgendein Hindernis, aber heute passiert’s. Haben die mir ne Falle gestellt? Haben die mich schon? Woher wussten die was? Woher nur??
Wenn’s nur nicht so verdammt neblig wäre. Und dunkel. Und kalt. November-Abend, kein Mensch unterwegs. Das war es doch, was ich wollte, kein Scheißkerl, der plötzlich auftaucht und nach ’ner Kippe fragt oder so. Mein Ding durchziehen, abhauen und keiner hat was gecheckt. Und jetzt das.
Wenn ich der Typ wäre, der gut mit andern zusammen was macht, der mit andern kann, wäre das sicher leichter verlaufen, und ich hätte mich nicht in diese dumme Lage hineinma- mannöviert - gebracht.
Der Typ bin ich aber nich’. Ich mache lieber alles allein. Dann kann mir nämlich niemand. Und was ich vorhabe, braucht auch keiner zu wissen. Nich mal Omma.
Drei Jahre lang bin ich jeden Abend hier langgegangen. Mit’m Hund, perfekte Tarnung. Denkt keiner was. Tausende von Leuten gehen jeden Abend mit’m Hund den gleichen Weg. Kannste sicher sein, denkt keiner was. Kenne jede Hausecke, jede Unebenheit in den Wänden, jedes Loch in der Straße, jeden Riss im Asphalt. Jede Mülltonne. Jede Wäscheleine. Jedes geparkte Auto. Is immer gleich hier.
Drei Jahre lang, jeden gottverdammten Abend in diese gottverlassene Gegend. Hier im abgelegenen Vorort leben die geizigen, die verlassenen, die 80jährigen, die nie ’rauskommen, und die zu alt sind um fortzuziehen. Die wehrlosen, denen keiner hilft. Die in ihren Villen leben, die die Straße verkommen lassen und über die Stadtverwaltung schimpfen, die nix unternimmt. Wieso auch? In zwei Jahren soll das Viertel verkauft werden, totalsaniert oder was weiß ich?
Ich kenne das Viertel seit ich klein war. Omma hat hier gelebt. Jetzt is’ Omma nicht mehr, abgekratzt isse wie alle über 60, aber ihr Haus, das steht noch. Is ja eigentlich mein Haus. Weil Mama und Papa leben nicht mehr. Hab früher bei Omma gelebt. Bis ich weg bin. Hab oft geschaut, irgendein "Mommpel” wohnt da jetzt. Mommpel, was für’n bescheuerter Name. Wie gesagt, das is ja wohl mein Haus, und der blöde Mommpel hat da nix zu suchen. Is ja auch egal, lang lebt der eh nich’ mehr. Heruntergekommen, wie der is. Und sowieso, der hat’s eh nich’ anders verdient. 3 ½ Jahre - Viel zu lang is der da schon.
Abends um 10, wenn ich hier vorbei bin, schläft der Mompell schon. Jeden Abend. Nich mal ’n Fernseher läuft. Kein Hund, keine Katze. Hab ich alles rausgekriegt. Mompell is’ total berechenbar, easy is der. Kann nix schiefgehen. Fast nix.
Weil jetz lieg ich hier blöd rum. So’n Scheiß Draht, in dem ich häng. Immer noch still um mich. Hat doch keiner was gemerkt oder?
Scheppern von Mülltonnen. Schritte. War das ’ne streunende Katze oder was? Oder verfolgt mich schon jemand? Mist! Sind die hinter mir her? Jetzt schon?

Teil 2 - Jens Schäfer
Kann nich sein! Woher sollen die kommen? Ne! Ne! Ne! Oh shit - ich muss wech! Jetzt gleich! Ich ...
Schwärze
Peter blinzelte und schaute sich um. Er lag der Länge nach in einem Vorgarten; aber das Stadtviertel konnte er nicht bestimmen. Es kam ihm merkwürdig vertraut vor, aber er konnte nicht sagen, warum. Sein Fuss steckte in einer Schlinge - als er sie löste, sah er erst, wie primitiv sie im Grunde war; wahrscheinlich nur eine Falle eines Kindes, das Trapper spielen wollte.
Peter setzte sich aufrecht hin und nahm sein Gesicht in seine Hände. Er hatte Angst. Er war Psychologe und ahnte Schlimmes. Nun ja, was soll man auch schon denken, wenn das Bewusstsein irgendwann nachmittags im Labor aussetzt und erst in der späten Nacht wieder einsetzt. In einem fremden Vorgarten in einer fremden Stadt. Was hatte er getan? Warum? Wieviele Personen sind in ihm drin? Er wollte nicht behandelt werden, solange er darauf keine Antworten wusste; er wollte keiner der armen, sedierten Seelen werden, die in der geschlossenen Abteilung vor sich hin dämmern ...
”Hier im Vorgarten zu sitzen bringt auf jeden Fall nichts” dachte er sich, stand auf und ging die dunkle Strasse weiter entlang.
Nach wenigen Schritten lief ihm ein Hund nach. Peter musste lächeln; der Hund hatte seine eigene Leine in die Schnauze genommen, um nicht darüber zu stolpern. ”Na, gehörst Du etwa zu mir?” sagte Peter und fragte sich selbst mehr als den Hund. Er schaute sich nochmals um, sah aber keinen anderen möglichen Hundebesitzer. Also nahm er die Leine. Was der Abend wohl sonst noch für Überraschungen bereit hielt?
Auf einmal erstarrte Peter. Eine Stimme in seinem Kopf wisperte Achtung - und er wusste, dass es irgendwie wichtig war. Aber warum? Und was? Er versuchte, möglichst ruhig zu bleiben, denn er wusste, dass seine Persönlichkeit oft in Stresssituationen kippte. Aber irgendwie ahnte er auch, dass dieses ruhige Stadtviertel mehr war, als die gepflegten, alten Fassaden einem glauben machen wollten. Und schon das machte ihn nervös.

Teil 3 - Stephan Meyer
”Waldi” nannte Peter ihn, den Hund, der fröhlich und unbekümmert neben ihm hertrottete. Der immer noch seine Leine in der Schnauze trug. Peter setzte sich auf den Bürgersteig und kraulte Waldi hinter den Ohren. Der Hund schaute ihn treuherzig an.
Und ausgerechnet dieser niedliche Köter war es, der jetzt wieder Peters Bewusstsein kippen liess. Der ihn erinnerte an die Zeit bei Omma. Ja richtig, in Ommas Villa hatte es auch einen Hund namens Waldi gegeben. Zumindest wurde er so gerufen. Aber mit vollem Namen hiess Ommas Hund ”Graf Waldemar von Bechtoldshoven”. Und das Pikante an der Sache war: Omma hatte den Hund nach ihrer ersten grossen Liebe benannt. Den Grafen Waldemar von Bechtoldshoven hatte es wirklich gegeben, auch wenn er Ommas Liebe nie erwidert hatte. Und eigentlich war der Graf Schuld an allem, was sich dann ereignet hatte. Hätte er bloss dieses Ding nicht in Ommas Villa unter den Dielen versteckt.
Ich muss da noch mal rein, verdammt! Ich muss noch mal in die Villa, bevor sie saniert oder abgerissen wird. Drei Jahre habe ich mich drauf vorbereitet, da reinzukommen. Ich hoffe nur, dass ich Graf Waldemars ”Geschenk” (was für ein furchtbares Geschenk!) in die Finger bekomme, bevor die noch ein Unheil damit anrichten!

Teil 4 - Annette Schlüter
Hätte ich damals, als ich weg bin, das blöde Ding bloß mitgenommen! Mit der Zeit hätte ich bestimmt herausbekommen, wie es funktioniert und viel Geld damit machen können. Aber Omma wollte es ja unbedingt im Haus behalten. Ich Blödmann hab ihr auch noch geglaubt, daß es nur um das Andenken an Graf Waldemar geht. Aber bestimmt hat sie es benutzt, die alte Hexe..... und jetzt wissen viel zu viele Leute Bescheid. Wer weiß, wen sie noch....
Peter hatte sich schon oft solche Gedanken gemacht. Er konnte es sich nicht anders erklären, als daß es dieses Ding war, das ihn wieder her gelockt hatte. Warum sonst konnte er sich an die Zeit, nachdem er von Omma weggegangen war, kaum erinnern? Vor etwa drei einhalb Jahren war es dann gewesen, als er das erste Mal wieder hier in der Gegend war und auf einmal ganz klar wußte, wer er war und was er suchte.
Diese Müdigkeit aber, unter der er als Kind schon gelitten hatte, spielte ihm immer noch Streiche. Peter merkte, daß er schon wieder viel zu viel gegrübelt hatte. Er setzte sich in die nächste Garageneinfahrt. Nur ein bißchen ausruhen....
Peter schreckte hoch, weil ihn helles Licht blendete und eine Stimme hinter dem Licht ihn unsanft darauf aufmerksam machte, daß eine Garageneinfahrt kein Nachtlager sei. Er torkelte dem leise vorbeischnurrenden Mercedes aus dem Weg und wurde in der kühlen Nachtluft allmählich wieder klar.
Das wurde ja wohl immer schöner... er war doch kein Penner?!?
Er sah sich um: Immer noch dieses Villenviertel, das ihm so seltsam bekannt vorkam. Und neben ihm wartete immer noch treu dieser kleine Hund.
Dem würde er jetzt auf den Grund gehen. Oft genug war er schon, wenn er nachts irgendwo in der Stadt zur Besinnung gekommen war, einfach nach Hause gegangen, um am nächsten Morgen wie immer ins Labor zu fahren. Aber er spürte, daß dies hier anders war, aus irgend einem Grunde sehr wichtig. Auf jeden Fall wichtiger als die langweiligen Fragebögen, an denen er zu arbeiten hatte. Ausserdem passierte ihm so etwas in letzter Zeit immer öfter, viel zu oft!
Genau genommen, hatten die Probleme erst vor etwa 3 Jahren angefangen. Jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Hatte dieser Mommpel, mit dem er damals zu tun hatte, nicht auch in einer dieser Villen gewohnt? Entschlossen nahm er Waldis Leine. Das Haus müßte doch wiederzufinden sein!

Teil 5 - Dieter E. Gellermann
Es war gewiss kein Vergnügen, in einer feuchten Novembernacht mit einem fremden Hund an der Leine durch dieses Viertel zu ziehen, zumal Waldi jeden Baum beschnuppern musste. Da dämmerte es Peter und er wusste auf einmal, warum es sich so schlecht in dieser Gegend zurecht fand. Die Bäume waren in letzter Zeit kolossal gewachsen und jetzt, wo alle entlaubt am Straßenrand paradierten, wirkten sie auf Peter wie eiskalte unberechenbare Riesen. Erlkönig ließ grüßen.
Dennoch vertraute Peter auf Waldis Spürnase und fragte sich nicht, wohin sie ihn führen würde. Genauso wenig hatten Omma und er früher gefragt, womit Graf Waldemar sein Geld verdient hatte. Dieses Thema war Tabu. Aber er hat nicht schlecht verdient, das hatte man ihm ansehen können. Warum war er dann so knauserig, das Ding in Ommas Villa unter den Dielen zu vergraben? Warum hat er es nicht in ein Schließfach in der Bank gelegt?
Zwei Stunden etwa würden Peter noch bleiben, bis es Zeit für ihn würde, das Labor aufzusuchen. Wie schon in den Wochen zuvor kamen ihm Zweifel, ob er jemals mit seinem Projekt vorankommen würde. Als er vor fünf Jahren damit begann, die Schizophrenie Hochbetagter zu erforschen, gab es noch genug solcher Fälle, an denen er seine Studien treiben konnte. Aber inzwischen sterben die Leute meist schon mit knapp über 60.
Besonders auffällig waren ihm immer die Todesanzeigen aus diesem Stadtviertel in der örtlichen Zeitung, - an manchen Tagen ganze Seiten mit Menschen eines Jahrganges. Seltsam auch, dass sich neulich die Anzeige zu Mommpels sechzigstem Geburtstag mitten in die Todesnachrichten verirrt hat. Vielleicht hat das in Peters Unterbewusstsein zu der Verknüpfung mehrerer Hypothesen geführt: Wenn Mommpel jetzt 60 ist und viele mit 60 hinscheiden, dann wird Ommas Häuschen nicht mehr lange stehen und was wird dann aus dem Geheimnis unter den Dielen?Ein wenig komisch kam Peter sich schon vor, mit einem fremden Hund an der Leine in einer Gegend, die sich merklich so verändert hatte. In den Häusern gingen erste Lichter an, bald würden die Frühaufsteher auf die Straße heraustreten, ihre Hunde Gassi führen. Bei dem Gedanken, dass ihn jemand der Herrchen oder Frauchen in ein Gespräch verwickeln könnte, fröstelte ihm.

Teil 6 - Ortrun Mack
Unsicher waren Peters Schritte, als er die Straße weiter entlang ging. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie ihm seine Gedanken entglitten, wie Nebelschwaden waren sie in seinem Kopf. Dabei hätte sein Leben so schön gerade und ruhig sein können, unauffällig, wenn nicht noch jemand in seinem Kopf wohnen würde. Er presste seine Handballen auf seine Augen, bis er bunte Kreise sah. Der Transformator, er durfte den Transformator nicht vergessen. Der vertraute Geruch von modernden Laub ließ ihn wieder kippen...
Waah, wieder’n Aussetzer. Mann, passiert mir immer öfters. Aber muß mich erinnern. Zu Omma. Ja, dort unter den Dielen im Flur. He, falls der Mommpel sich das Ding gekrallt hat, hat der nix zu lachen. Als ob Omma es versteckt gehalten hätt‘, weils wertvoll is‘. Keine Ahnung, der Typ. “He, Ragnarög, bei Fuß!” Daß der Köter auch immer so weit voraus lauf’n muß. Aber er kennt ja den Weg zu Omma. Oder zu Mommpel. Oh Shit, bald geht die Sonne auf. Total übel. Ich muß...
Peter sog scharf die Luft ein. Schon wieder! Der Transformator, er mußte ihn haben, bevor sie nach ihm suchen. Ihnen würde es keine Mühe machen ihn zu finden. Sie waren schlau, oh ja, aber er hatte Waldi und das Wissen, daß sie keine Hunde mochten. Aber das Ringen um Identität kostete ihn viel Kraft, aber er konnte es sich nicht nochmal leisten, aufzufallen. Wenn nur der Mercedesfahrer ihn nicht gemeldet hat. Aber da, hinter dieser Ecke muß das Haus von Omma sein. Peter schien es, als sei das Haus Ommas das Zentrum aller Absonderlichkeiten. Vorbei an schon lange nicht mehr geschnittenen Ligusterhecken, es gab ja kaum noch Menschen, die der Rasenmäh- und Heckenschneid- ganz zu schweigen von der Straßenkehrtradition huldigten. Die Alten, die Hüter der Traditionen wurden immer weniger und genaugenommen beunruhigte es Peter außerordentlich, daß gerade Mommpel sich bester Gesundheit erfreute. Und sogar noch die Frechheit besaß, seinen Geburtstag inmitten Todesanzeigen anzukündigen. Wen wollte er damit verhöhnen?
Durch das Geäst verwilderter Apfelbäume erhaschte er einen Blick auf das Haus, genaugenommen eigentlich sein Haus. In Sekundenbruchteilen kippte er einmal hin und her, als wolle auch sein zweites Ich einen Blick auf die Gestalt hinter dem Fenster werfen, die sich dunkel vor einem fluoreszierendem Licht abzeichnete. Leises Knurren drang aus Waldis Kehle und Peter wußte, daß er nicht der erste war, der seine Finger nach dem Transformator ausstreckte.

Teil 7 - Patricia vom Rath
Verdammt! Waren sie etwa schon da? Aber wie konnten sie so schnell sein?! Das war doch eigentlich gar nicht möglich. Andererseits - bei ihnen wußte man nie... Oder war es etwas Mommpel selbst? Hatte er den Transformator gefunden? Gegen das Licht war die Gestalt nicht zu erkennen, und jetzt bewegte sie sich auch vom Fenster fort. Nur noch das fluoreszierende Licht war zu sehen, und ein Schatten, der über die Wand huschte...
Oh shit, shit, shit! Wie kann jemand vor mir da sein?! Drei Jahre lang bin ich hier ‘rumgelaufen, immer unauffällig, mit’m Hund, immer vorsichtig, bloß nicht zu viel auf einmal - soll das jetzt für nix gewesen sein? Neinneinnein, nur nicht aufgeben... Ich brauch’ das Ding, unbedingt, für mich und für... für diesen anderen... der auch manchmal da ist... Mann, was red’ ich für’n Stuß, bin ich schon total durchgeknallt?
Also wenn’s der Mommpel is’, der das Ding ausgepackt hat, dann is’ er jedenfalls selbst schuld. Weil er nämlich nich’ weiß, wie man damit umgeht. Weiß ich ja auch nich’ genau, aber ich weiß wenigstens, wie’s aussieht, wenn’s ungemütlich wird, hab’s ja beim ollen Grafen damals gesehen. Wenn das Licht schwach und grünlich is’, so wie jetzt, is’ noch alles in Ordnung, aber wenn’s blau wird, dann geht’s los, und wenn man dann nich’ sofort Schluß macht, is’ vorbei, dann gibt’s kein Halten mehr. Wird er schon sehen - dann begraben sie ihn auch mit 60. Was soll’s, hat lang genug in meinem Haus gewohnt.
Aber wie komm’ ich jetzt an das Ding ‘ran? Und wenn sie doch schon da sind? Ich muß erstmal ‘reinkommen, aber das is’ ja kein Problem, hab’ lang genug hier gewohnt. Und dann werd’ ich den Hund benutzen, um sie abzulenken, und mir das Ding krallen, und nix wie weg... Der Köter guckt mich schon an, als ob er genau wüßte, was ich von ihm will. Manchmal denk’ ich, da steckt mehr drin als nur so’n Tier. Ob’s das gibt, Tiere, die in einen ‘reingucken können...
Mit einem Ruck kam Peter zu sich. Schon wieder, verflucht! Der Hund sah ihn an, und er starrte zurück und versuchte, sich an seinen letzten Gedanken zu erinnern.

Teil 8 - Christian Severin
Reinkommen, richtig. Er musterte noch einmal das Anwesen, dann gab er sich einen Ruck. Das kleine Gartentor war gut geölt und quietschte nicht, er zerrte Waldi mit hindurch und ließ die Gefahren der Straße hinter der Hecke zurück. Gut, erster Schritt geschafft. Danach kam... danach kam... -- Peter runzelte die Stirn. Es würde ihm bestimmt gleich wieder einfallen.
Huh, schon wieder. Scheiße, das passiert auch immer öfter, was? Aber im Garten bin ich ja schonmal. Jetz erstmal dalli zur Hintertür getappert. Is schon praktisch, so'ne Wildnis, da sieht einen wenigstens kein Schwein. Hoppla, Wurzeln -- pass bloß auf, Mann, wenn de jetz hinschlägst, hört er's vielleicht sogar im Haus. So, da is die Veranda. Alles klar, Luft is rein, keiner auffer Straße, keiner am Fenster, Licht is immer noch grün, Hund is ruhig: Los gehts!
Peter hastete auf die Veranda, drückte sich an die Wand und tastete hinter einem halbmeterhohen Tontopf mit mumifizierten Sonnenblumen in der Ecke herum.
Scheisse, der war doch früher immer da! Den hat der bestimmt nicht gefunden; so wie das hier aussieht, war der olle Mommpel noch nich ein einziges Mal auffer Veranda! Ah, da isser ja! Geil, is doch gut, dass Omma immer 'nen Schlüssel für die Hintertür hier gebunkert hat... So, dann woll'n wir mal sehen, ob er noch passt. Wär ja noch schöner, wenn der Mommpel mittlerweile die Schlösser ausgetauscht hat...
Mal hören... nichts, gut. Kurzer Blick zurück: Immer noch kein Arsch auf der Straße. Sieht ganz so aus, als hätte ich ihnen ein Schnippchen geschlagen. Hund is immer noch ruhig. OK, Schlüssel rein, vorsichtig, voooorsichtig...
Die Tür öffnete sich mit flüssigem Schwung, und Peter blinzelte wie ein Karnickel ins Licht, vor dem sich nur als Schatten eine kleine Gestalt abzeichnete. "Ah, Sie sind es. Kommen Sie doch herein!"

Teil 9 - Daniela Heide
Ihm wurde schwindlig, sein Herz raste. Gleich würde er sich übergeben müssen... Tief Luft holen. Einatmen, Ausatmen. „Hallo, Herr Mommpel.“ Kaum war er in der Diele, konnte er es bläulich aus dem Zimmer zur Linken leuchten sehen. War das wohl der Transformator? Die Chance würde er sich nicht entgehen lassen, entschloss er, und machte einen Schritt auf die offene Tür zu.
„Nein, da ist ... Nichts... lassen Sie uns doch ins Wohnzimmer gehen...“ Nervös verknotete Mommpel seine Hände hinter dem Rücken und starrte ihn vorwurfsvoll an: „Mein Schatz... ich meine, nein, er gehört mir!“ Dennoch trat Peter noch einen Schritt vor, er konnte jetzt direkt in das Zimmer schauen. Blau schimmerte es unter den Dielen... Für einen Moment schienen sich zwei Bilder übereinanderzulegen, zwei Perspektiven – und dann: „Eh Mann, Alter, mach’ nich’ so’n Aufstand. Is’ schließlich auch mein Haus. Nu lass mich schon kucken, ich will doch nur wissen, was der Graf damals angeschleppt hat.“ Ich raff’s nicht, der Alte spinnt ja wohl! Sein Schatz! Wenn überhaupt, isses meiner, weil er doch von Omma war. Wär ja gelacht, wenn ich an dem Knilch nicht vorbeikäme. Wenn mir nur nich’ so übel wär...
Ok, kurz nach links antäuschen, rechts an dem Alten vorbei .... „He, pack mich nich’ an! Loslassen, hab ich gesagt.“ So das hatter jetzt davon. War wohl nicht so nett, ihn an den Schrank zu schubsen, hatter aber selber Schuld dran. Ich will endlich den Schatz sehen.
Peter machte noch zwei Schritte auf das Leuchten zu, hockte sich hin und löste das erste Dielenbrett aus dem Boden. Das schimmernde Licht wurde noch heller, aber trotz der Helligkeit konnte er seine Umgebung jetzt nur noch verschwommen wahrnehmen, da ihn gerade eine neue, noch heftigere Übelkeit überkam, die ihm für einen Moment die Luft nahm. Aus den Augenwinkeln konnte er schemenhaft erkennen, daß sich Mommpel am Schrank zu schaffen machte.
Is’ mir doch egal, was der Mommpel macht. Jetzt will ich endlich den Schatz sehen. Muss ja irre sein, wenn der Mommpel sich so aufregt. Zweites Dielenbrett, Mist, klemmt’n bisschen ... so, jetzt habbich’s. Was’n das für `ne Scheiße? `ne Kühltasche?! Und da is’n Symbol drauf – kann ich nicht erkennen, Mann, is’ mir schlecht... Egal, erst mal mitnehmen, ich kann ja zuhause reinkucken... He, was war das für’n Geräusch? Oh verdammt, das war der Mommpel. Kommt gerade auf mich zu, brabbelt aufgeregt, hält was Schwarzes in der Hand. Was Schwarzes? Der spinnt doch der Alte, der-

Wuppertal. In einer gemeinsamen Pressekonferenz des Katastrophenschutzes und der Polizei wurden gestern Nachmittag weitere Informationen bekanntgegeben zur Explosion, die sich vor einer Woche in der Sperber-Siedlung in Wuppertal-Ronsdorf ereignet hatte. Die vorläufige Identifizierung der beiden geborgenen Leichen als Besitzer und Mieter des Hauses wurde demnach bestätigt. Als Unglücksursache nannte die Feuerwehr die Explosion eines Gasbehälters, der noch aus dem zweiten Weltkrieg stammte; Experten des Katastrophenschutzes konnten in den vor Ort entnommenen Bodenproben zudem Reste von Densazin nachweisen. Densazin – auch unter dem Kürzel D29 bekannt – galt als starkes Nervengift, welches im Verdacht stand, unter anderem Halluzinationen, Gedächtnisstörungen sowie schizophrene Episoden hervorzurufen. Densazin gehörte auch zur Gruppe der biologischen Kampfstoffe, mit denen Deutschland im Zweiten Weltkrieg experimentierte; die Forschung daran wurde aber nach wenigen Jahren wieder eingestellt, da sich herausstellte, dass die Wirkung von Densazin nur bei über längeren andauerndem Kontakt auftritt. Gerüchte, dass ein ehemaliger Mieter des Hauses, Graf Waldemar von Bechtholdshoven im zweiten Weltkrieg Mitglied einer Sonderforschungseinheit für Biowaffen angehörte, wurden bisher von offizieller Stelle nicht dementiert.

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Ob das gut geht? - Gemalt von Michelangelo Caravaggio

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