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Schripp Schrapp

Diese fabula ist etwas anders aufgebaut als die vorhergehenden. Hier das Prinzip:

Die beiden Teilnehmer der ersten Runde beginnen unabhängig voneinander mit ihrer Geschichte. Sie besichtigen als Kommissar einen Tatort, an dem ein Mord geschehen ist. Für die folgenden Runden besteht freie Rollenwahl. Es wird immer eine Rolle gewählt, die in der Ichform erzählt, aber in den vorigen Episoden noch nicht als Erzähler vorkam. Trotz der Ichform muss deutlich aus dem Text hervorgehen, um welche Rolle es sich handelt.

Und warum schreiben zwei Autoren parallel? Weil wir Fabulanten immer abstimmen, welche der beiden Episoden besser gelungen ist und die Grundlage für den nächsten Abschnitt bildet. Dieser wird natürlich wieder von zwei Autoren geschrieben. Prinzip verstanden? Dann aber los!




Runde 1 – Katharina Heizinger

Meine Schwiegermutter würde sich bitter beklagen. So großzügig sie auch in Notlagen ihre Hilfe anbot, so wesentlich war es ihr, dafür Dank und Bewunderung im Übermaß zu ernten. Insbesondere, wenn die Hilfsdienste dann noch verlängert werden mussten. Missmutig stapfte ich die Stiege hinauf. Die Schwi hatte am Telefon wieder so getan, als würde ich absichtlich Morde bestellen, nur damit ich länger meinem unziemlichen Beruf nachgehen und meine Kinder schrecklich vernachlässigen könnte. Nie würde sie einsehen, dass eine Kommissarin – noch dazu die erste in dieser Stadt – nicht einfach um 16 Uhr alles fallen lassen konnte. Nicht einmal dann, wenn daheim ihre wirklich innig geliebten Kinder und ihr ebenso geliebter kranker Mann – und eine von Friseur- und Kosmetikterminen geplagte Schwiegermutter! – auf sie warteten.
Gewohnheitsmäßig sah ich mich im Stiegenhaus um. Die Hausgemeinschaft schien ungewöhnlich tolerant miteinander umzugehen, vor fast allen Wohnungstüren stand allerlei Kram. Der erste Stock war die reinste Gärtnerei gewesen, Topfpflanzen in allen Größen gediehen prächtig. Gerade eben war ich an einer großen Sammlung Ansichtskarten und Reiseandenken vorbei gekommen, im Stockwerk darunter standen mindestens zehn Paar Herrenschuhe, wobei von einigen noch das Schmelzwasser tropfte. Bis ins leer stehende Dachgeschoß musste ich hinauf. Fünfter Stock – hier hatte die eine Partei wohl mehrere Hunde, und vor der nächsten Tür standen zwei Kinderwagen und drei Mini-Scooter. Ein zerkauter Ball von nicht mehr definierbarer Farbe hatte sich zwischen die Fahrzeuge verirrt. Trotz all der persönlichen Gegenstände machte das Haus einen sauberen, die Schwiegermutter hätte gesagt, „respektablen“ Eindruck. Die Türen waren in Schuss gehalten, jede trug ihr individuelles Namensschild. Es roch nach Abendessen und nach Putzmittel. Nirgends war Abfall oder Reklame an den Türen zu sehen.
Auf dem letzten Treppenabsatz blieb ich stehen und holte tief Luft. Nicht nur wegen der Höhe, ich wollte mich auch gegen den zu erwartenden Anblick wappnen. Am Notruftelefon hatte die Anruferin, eine Hausbewohnerin, nur zusammenhanglos von einer ermordeten Leiche im Dachgeschoß gestammelt. Nun saß sie vor dem Haus in einem eleganten Straßenlokal mit der schwangeren Inspektorin Mink. Letztere – ihre Uniform würde bald platzen - versuchte, von der völlig verstörten Frau so etwas wie eine Aussage zu bekommen, und hatte mir im Vorbeigehen die „Eckdaten“ mitgeteilt: Die Tote sei eine alte Frau, die wohl ursprünglich aus Osteuropa gekommen war, und die in einer schäbigen Garconniere mit Gangtoilette im Erdgeschoß wohnte. Der Anblick sei grässlich, der Lift sei kaputt und die Spurensicherung stecke im Stau.
Ich gab mir einen Ruck und stieg die letzten Stufen hinauf. Ein Geräusch, das ich wohl schon länger vernommen haben musste, drang in mein Bewusstsein: Es war das regelmäßige Schripp-Schrapp der Lifttür, die sich in einem fort schloss und wieder öffnete. Ich bog um die letzte Ecke, sah plötzlich einen Kopf auf einigen Zeitungen liegen, daneben einen roten Schnuller mit gelbem Ring und ein knallbuntes Gummispielzeug. Und nun fiel mein Blick den Körper der alten Frau, der mit gespreizten Beinen sitzend die Lifttür blockierte – den Oberkörper halb dem Kopf zugewandt, als sei er verwundert, dass dieser die Schultern verlassen hatte. Profikommissarin, die ich war, übergab ich mich in ein mitgebrachtes Sackerl.




Runde 2 – Hedda Möller

Mord ist mein Beruf. Ich bekomme viel Geld dafür – der Aufwand bestimmt den Preis. Aber so abgebrüht, wie ich nach all den Jahren meiner Berufspraxis sein sollte, bin ich auch wieder nicht. Manchmal dauert es Wochen und Monate, bis mich die Erinnerung an mein letztes Opfer verlassen hat. Auch wenn es, wie fast immer, nicht die besten Menschen in diesem Leben waren. Aber ich habe keine Wahl. Der Tod und meine Albträume sind der Preis für das Leben. Ich kann meine Familie in der Ukraine ernähren. Für alle – meine Frau Sonia, unsere beiden Töchter und meine Schwiegermutter, bin ich nur der „Geschäftsmann“, der alle paar Wochen für einen Auftrag nach Deutschland oder Italien gerufen wird. So war es auch diesmal, als mein Handy in den frühen Morgenstunden schrillte. Es war mein „Agent“ Dany in Deutschland, über den ich meine Aufträge bekam.
Er kam gleich zur Sache: „Kannst Du eine alte Frau mit einer Machete enthaupten?“
Dann folgten die Feinheiten: „Du musst ihr am 20. März um exakt 15.30 den Kopf vom Leib trennen und ihn anschließend auf die Seite einer alten Zeitung aus dem Besitz des Auftraggebers deponieren“, fing er an. Und dann seien am Tatort noch weitere Requisiten zu hinterlegen, über die ich mich bloß nicht wundern solle. Nein, Erdrosslung aus nächster Nähe, auch Tod durch Erschießen oder eine andere meiner Spezialitäten seien diesmal nicht gefragt.

„Wie viel?“, krächzte ich.
„Mehr als üblich: 20.000 Euro“.
Was blieb mir übrig? Ich stimmte zu.
Am Tattag hatte ich das Haus meiner Zielperson seit sieben Uhr früh observiert. Ihr Name war Vesna Spasenovic, 65 Jahre alt, seit vielen Jahren wohnhaft in einer heruntergekommenen Garconniere im Erdgeschoss.
In der Ruhe der Mittagszeit traute ich mich ins Haus und erkundete das Terrain. Kein Name stand auf dem Klingelschild ihrer Wohnung. Hinter der brüchigen Holztür hörte ich Geräusche, dann ein hektisches Telefonat in einer unverständlichen Sprache. Ich spürte so etwas Angst in ihrer Stimme. Ihr Äußeres kannte ich von dem Foto, das ich, wie verabredet, samt den übrigen Utensilien der mörderischen Choreographie aus einem Schließfach am Bahnhof geholt hatte. Sie war keine angenehme Erscheinung mit den kleinen, schlitzartigen Augen unter der niedrigen Stirn. Ihr Hals, das sah ich, war kurz. Immer wieder hatte Dany mir eingeschärft, die Machete nach der Tat auf keinen Fall zu reinigen.
„Das Blut muss dranbleiben“. Zum ersten Mal überfiel mich eine panikartige Angst, eine plötzliche Hellsicht, dass hier eine böse, Grauen erregende Macht die Strippen zog.
Dann geschah ein Wunder. Als ich um 14.20 erneut das Treppenhaus betrat, stand Vesna vor der Lifttür. Sie wirkte unruhig, betrat den Fahrstuhl, ohne mich zu bemerken und fuhr nach oben. Wie eine Katze sprintete ich die Treppen hinauf. Ich betete, dass kein Nachbar aus irgendeiner Tür trat und mich sah. Der Fahrstuhl passierte ohne Halt den ersten, zweiten, dritten, dann den vierten Stock. Mein Glück war perfekt. Ich nahm die letzten Treppen zum fünften und letzten Stockwerk so geräuschlos ich konnte und wartete vor dem Lift. Als sich die Tür öffnete, war es exakt 15.29. Nie werde ich den Ausdruck aus ungläubigem Entsetzen, Angst, Wut und Schicksalsergebenheit in ihrem alten Gesichtes vergessen, als sie mich vor der geöffneten Tür stehen sah. Blitzschnell zog ich Ihren Kopf an den Haaren zu mir und bevor Sie einen Laut von sich geben konnte, hatte ich mit der Machete ihre Kehle durchtrennt. Nach drei weiten Hieben hatte ich Ihre Halswirbel abgehackt. Ich ließ den Körper im Fahrstuhl liegen, legte den Kopf auf die mitgebrachte Zeitungs-Seite und deponierte Schnuller und Gummi-Ente an den vorgeschriebenen Stellen. Dann folgte die Dokumentation für den Auftraggeber. Viermal zuckte der Blitz meiner Digitalkamera, mit der ich das grauenhafte Szenario festhielt. Instinktiv wusste ich: von jetzt an würde mein Leben ein einziger Albtraum sein.




Runde 3 – Brigitta Colombo

„…Und? was tut sich?“ fragte mich Karl Rüdiger, mein Mann hinter seiner Zeitung hervor.
„Jetzt ist ein Krankenwagen vorgefahren“ flüstere ich und schiebe die Gardine ein bisschen zu Seite, um besser sehen zu können – „ts, ts… also, das ist nun wirklich nichts für ne Schwangere. Was ist das wohl für eine? Dass die so bei der Polizei noch arbeiten dürfen…“
„Halt die klappe und bring mir n Bier“ knurrt Kalle.
„Geh du besser mal mit den Hunden raus! Die pissen mir sonst noch auf n Teppich“
„Geh doch selber, anstatt immer rum zu spionieren“
Die Hunde kucken mich doof an und bei jeder Bewegung, die wir machen, gehen sie zur Tür und bleiben wedelnd stehen… die armen Viecher. Haben musste er sie ja. Angeblich wegen diesem ausländischen „Gesocks“, wie er die Jugos nennt, die in unsere Strasse gezogen sind.

Also bleibt mir nichts anderes. Ich nehme die Leinen vom Kleiderhaken. Der Kleine - ein Pitbull - bekommt seinen Maulkorb. Als ob das blöde Vieh wisse, wie man beißt… und der Grosse - ein deutscher Schäferhund aus einem drittklassigen Tierheim, zerrt an der Leine. Kaum stehen wir im Treppenhaus, geht das Gekläff und Gebell los. Die stimmen der Leute oben bei der toten Vesna werden lauter. Ich will schließen, da reißen sich die blöden Köter los und rennen die Treppe hoch. Ich hinter nach. Ein Polizist kann den großen am Halsband erwischen und hält ihn fest. Doch wo ist der Kleine?
„Wo ist der kleine?“ rufe ich den Leuten, die da mit ihren Untersuchungen und Tatortsicherung beschäftigt sind, zu. Doch bevor ich von denen eine Antwort bekomme, höre ich den kleinen oben durch den Fußboden hin und her rennen und bellen - so gut das eben mit einem Maulkorb geht.
„Verdammt Frieda, kannst du nicht mal die Köter festhalten“ schreit Kalle mich an, der soeben die Treppe hoch gejapst kam.
Ich lasse ihn wettern und steige die Treppe zum Estrich hoch. „Blut“ schreie ich, als ich auf dem Boden Blutflecke entdecke. „Die waren gestern noch nicht da, als ich hier oben sauber machte.“
Ein Polizist, die komische Kommissarin und die Schwangere kommen heraufgerannt. der Hund bellt unter einer offenen Dachluke. „…und welcher Idiot hat…?“ doch ich komme nicht dazu meine Frage auszusprechen. Die Kommissarin brüllt über ihr Handy nach Verstärkung. von „hermetisch abriegeln“ ist die Rede. „Der ist über die Dächer ab!“ ruft der Polizist. „Nun holen sie schon endlich ihren Hund da weg und halten sie sich zur Verfügung“ befiehlt die Kommissarin.
Ich zerre den Hund, so gut es geht von der Dachluke weg.
„Was ist?“ fragt Kalle
„Der ist übers Dach weg“ sage ich.
„Wer?“
„Der Mörder, du Idiot!“ ich nahm ihm die Hunde ab und ging nach unten, mich vergewissernd, dass der Schlüssel, mit welchem der Aufgang zum Estrich normalerweise verschlossen war, sich noch da befand, wo er sich zwei Tagen befand. In der linken Gesäßtasche meiner Jeans. „Wann wohl mein Geld kommen wird…? fragte ich mich, während ich freundlich lächelnd an den Polizisten am Eingang vorbei ging…




Runde 4 – Andreas Lehner

„Ich brauch ihren Bericht bis morgen früh!“ schreie ich wütend in den leeren OP und kämpfe mit einer Zigarette und einem Schluck Korn, den ich aus einem Becherglas aus dem Labor in mich rein kippe, den aufsteigenden Ekel, der in Form meines Mageninhalts hochkommen will, runter.

„Weiber!“ ich atme tief durch und ziehe an der Zigarette. Koslowski, der Vorgänger dieser schwangeren Kommissarin, hätte nie in dem Ton mit mir gesprochen… und sowieso… wir sind doch nicht bei Derrick. „Ich bauch ihren Bericht… bla bla bla!“

Ich drücke die Zigarette aus, noch einen Schluck. Neue Gummihandschuhe aus dem Karton ziehen, Mundschutz und los geht’s. Ich ziehe am wieder Reißverschluss des Plastiksacks, in welchem die Tote hierher gebracht wurde…

„Oh Gott. Wie kann man bloß…“ höre ich mich sagen. „einer so alten Frau, so was antun?“ ich beginne den toten Körper zu untersuchen. Viele blaue Flecke. Eine Operationsnarbe am rechten Unterbauch. muss wohl Blinddarm gewesen sein… unter den Fingernägel entferne ich Dreck.

Irgendetwas gefällt mir an dieser Leiche nicht. der Schnitt durch die Kehle, war nicht die eigentliche Todesursache. Da bin ich mir sicher… ich beschließe mit dem sezieren nicht bis Morgen zu warten. Ich will es jetzt wissen. Sofort.

Soeben wird im Radio in den Nachrichten das erste Mal dieser Mordfall erwähnt. Dass die nicht warten können, bis der Befund von uns vorliegt. Immer vorgreifen…

„Wär ich doch Pfarrer geworden…“ geht es mir durch den Kopf und ich bitte den Herrgott um Hilfe und Verzeihung, während ich den ersten Schnitt zum sezieren ansetze…

Stunden und viele Pappbecher von der Plörre aus dem Automaten, die sie hier Kaffee nennen, später, ist der Fall klar: die Frau befand sich bereits in einem Todeskampf, als ihr Mörder an der Tür klingelte, doch wer verabreichte ihr das Gift und wie? Und warum? Und warum am Schluss in so einer großen Menge, dass es noch im Magen nachweisbar ist? Als hätte es da jemand plötzlich sehr eilig gehabt… hm… wieso eigentlich „wer“?… Was, wenn sie sich selber vergiftet hat? Soll ja schon vorgekommen sein… Doch woher hatte sie oder der Täter das Arsen?

Ach ja, der Mörder war kein Linkshänder… das muss ich dieser schnippischen Gans von Kommissarin noch mitteilen. Aber jetzt geht’s erst mal nach Hause. Schlafen. Während ich mich umziehe, kommt mir in den Sinn: Herta hat ja heute Geburtstag…




Runde 5 – Birgit Bauer

Als ich die Treppe hinaufsteige, zur Wohnung von der Alten, gekleidet in mein bestes schwarzes Kostüm, jubiliere ich innerlich. Vesna ist tot! Der alte Schwiegertiger bekam sogar einen doppelten Tod geschenkt.

Die Kommissarin war bleich um die Nase, als sie uns die Fotos zeigte, mit der wir die Alte identifizieren mussten, sie haben uns ja nicht mal in die Pathologie gelassen, um uns „Schlimmeres“ zu ersparen, wie sie sich ausdrückten.

Ich war erstaunt, denn, ich hatte eigentlich eine „normale“ Leiche erwartet, kein Gespenst mit separatem Kopf neben sich und einer gelben Gummiente und einem Schnuller. Sieht irgendwie witzig aus und ich muss mich beherrschen, um nicht zu Grinsen.

Und jetzt haben sie mich und Erwin, Vesnas liebstes und heiliges Kind und mein Mann, gebeten, in ihre Wohnung zu kommen. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht verrate, denn, ich frage mich, wer außer dem Boten mit der Probemahlzeit von „Essen auf Rädern“ noch bei Vesna gewesen sein muss und wer Grund dafür hatte, sie so zu massakrieren.
Wie auch immer, doppelt genäht hält besser, auch wenn es den armen Erwin fürchterlich zusetzt, dass er seine geliebte Mama jetzt nicht mehr hat.

Wir betreten die ärmliche Wohnung, der Spießrutenlauf durch das nachbarschaftliche Spalier ist beendet, besonders eine Frau mit komischen Hunden rückte mir sehr auf die Pelle, so dass die Polizisten sie abdrängen mussten.

In der Wohnung der alten Vesna angekommen, wird uns eröffnet, dass sie wohl vor dem Verlust Ihres Kopfes mit einer großen Dosis Gift im Sterben gewesen sein musste und, dass man 1 Million unter Ihrer Matratze fand, als man in der Wohnung nach Spuren suchte.
Ich wusste davon, denn, als sie vor einigen Monaten krank war, musste ich Ihre Bettwäsche wechseln und habe in einem Anfall von sozialem Gewissen, die Matratze lüften wollen, als ich den Zaster entdeckte. Und, als sie mich wieder beleidigte und übel beschimpfte, weil ich so eine lausige Ehefrau sei, habe ich beschlossen, mir dieses Geld unter den Nagel zu reißen.

Alles meins!! Erwin, der dumme Kerl, dem es eigentlich gehört, wird es mir anvertrauen, damit ich es gut anlege. Der wird sich wundern. Er ist in meinem Plan nicht mehr vorgesehen, das Geld ist mein Lohn für 25 Jahre Qual, Vorwürfe und Beleidigungen und für die Tatsache, dass er seiner Mama immer die Stange gehalten hat.

Zur Not wird er in einigen Wochen ein Probeessen vom feinsten Delikatessengeschäft der Stadt bekommen. Mit seiner Lieblingsnachspeise und einem „besonderen“ Sahnehäubchen darauf. Allerdings, über die Dosierung, über die muss ich noch einmal nachdenken, an einem anderen, sonnigeren Ort, den ich schon nächste Woche bewohnen werde.




Runde 6 – Alexander Herges

„Das ist jetzt nicht euer Ernst! Sagt mit sofort, dass das ein schlechter Witz ist! Ihr wart nicht in der Wohnung?“

„Ich fürchte nein, Boss. Da ist wohl irgendwas schief gegangen, als...“

„Komm mir nicht mit sowas, du Vollidiot! Ich gebe euch einen leichten, einen einfachen, einen simplen kleinen Auftrag! Und du stehst jetzt hier vor mir und willst mir weismachen, es ist wohl irgendwas schiefgegangen?“

„Nun ja, das war...“

„Geh mir aus den Augen, du Nichtsnutz! Sei froh, dass du mit mir verwandt bist, und jetzt mach, dass du mir aus den Augen kommst, sonst besorge ich noch einen Schnuller und eine Ball!“

Wie ein kleines Häufchen Elend schleichen die drei Dummköpfe aus dem Raum, angeführt von meinem dämlichen Cousin. Ich drehe mich um und gehe zu dem Tisch mit den Spirituosen. Ich brauche erst mal was Hartes. Wo ist der Wodka? Ah ja, genau da, wo er sein soll. Glas brauche ich nicht. Ich nehme mir die Flasche und gehe hinter meinen Schreibtisch, um mich hinzusetzen.

Zehn Minuten später ist die Flasche fast leer, und ich weiss immer noch nicht, was ich nun anstellen soll. Es hätte doch so schön sein können. Nur eine Kleinigkeit noch, und ich wäre auf dem Weg in die Spitze der Organisation nicht mehr aufzuhalten gewesen. So eine Chance kommt so schnell nicht wieder. Ach was, darüber brauche ich mir nun auch keine Gedanken mehr zu machen. Wenn ich die nächsten 24 Stunden überleben sollte, dann würde ich ohnehin wieder ganz unten anfangen und selber durch Europa reisen und „Aufträge“ erledigen.

Und nochmal geht mir die Situation durch den Kopf: Die alte Spasenovic hatte den Coup ihres Lebens gelandet: Fast anderthalb Millionen Euro in nicht markierten Scheinen hatte sie sich unter den Nagel gerissen. Ich weiss nicht mal, wie sie an die Kohle rangekommen ist, Tatsache war aber, dass es einer im Casino gemerkt und auch sofort an den Manager gemeldet hatte. Und man kann ja viel machen, aber man sollte nicht das Spielcasino des Chefs der ukrainischen Unterwelt ausnehmen. Und wenn, dann sollte man seine Identität ändern. Oder sich nicht erwischen lassen. Oder... ach was weiss ich. So brillant der Raub an sich auch war, sie hat sich trotzdem blöd angestellt. Innerhalb kürzester Zeit jedenfalls waren einige hundert der besseren Schnüffler und Auftragskiller auf die Frau angesetzt, die es aber immerhin schaffte, für fast ein Jahr komplett von der Erde zu fallen. Keiner hat sie gefunden. Viele haben es versucht, die Prämie auf ihren Kopf wurde sukzessive erhöht, aber sie war weg. Bis, ja bis vor ungefähr drei Wochen einer meiner Leute die alte Vettel aufgegabelt und es mir gemeldet hat.

Und da war meine Stunde gekommen. Ich habe mir in unseren Kreisen schon einen Namen gemacht wegen der seltsamen aber effektiven Erledigungen, die meine Leute produzierten. Ein paar Details wurden von Fall zu Fall immer mal geändert, aber jedes Mal lagen neben der Leiche ein Schnuller und ein Gummispielzeug. Sieht gut aus und hat diesen leicht okkulten Hauch, der die Polizei in ganz Europa immer wieder vor unlösbare Rätsel stellt. In diesem speziellen Job entschied ich mich für eine Enthauptung. Der konkrete Auftrag ging an einen zuverlässigen Mann aus einem kleinen Vorort von Kiev, für kleine Details wie eine gelungene Flucht wurden Nachbarn angeheuert, und für den letzten und wichtigsten Teil der Operation, die Beschaffung des Geldes, heuerte ich tatsächlich die drei Stooges unter Führung meines Cousins an. Rein in die Wohnung, Kohle suchen und finden, raus aus der Wohnung, zurück in die Ukraine, Geld bei mir abliefern, ich bringe es mit den Fotos der Tat zum Oberboss und husch, schon bin ich auf dem Weg nach oben.

Aber scheinbar gab es wohl zur gleichen Zeit wie der von mir in Auftrag gegebene „Gruß aus der Heimat“ einen weiteren Anschlag auf die Frau aus dem engeren Familienkreis und diese Pfeifen haben es geschafft, nicht in die Wohnung zu gehen, bevor nicht schon die Polizei da war und alles abzusperren begann. Und ich kann das jetzt ausbaden.
Man sollte halt nicht mir der Familie arbeiten. Der Wodka ist auch leer. Ich glaube, ich werde zum Chef der Chefs gehen und beichten. Vielleicht gewährt er mir ja die Gnade eines schnellen Todes. Immerhin haben wir die Frau erledigt. Für das Wochenende hatte ich mir sowieso nichts vorgenommen.




Runde 7 – Antonio Arnesano

„Ich werde verrückt! Hey Boss (du frigides Miststück), ich glaube es wird ein süßes Wochenende für uns!“ schrie ich grinsend ins Büro. „Sehen Sie sich diese Bilder an. Wir haben sie aus einer Digital Kamera, die ein Rentner hinterm Haus der Spesanovic gefunden hat. Ich bin völlig fertig!“ Sie drückte den Alten weg. „Das ist es“ (natürlich ist es das, dumme Kuh), sagt die Kommissarin, die bei einem Telefonat zwischen ihr und ihrem bescheuerten Mann gestört worden war. Ein Lächeln, erbleichend zwar, aber ein Lächeln war auf Ihrem Gesicht zu erkennen. „JAAAA“ sagte ich leise zu mir selbst, während meine Hand zur Beckerfaust wurde. „Ich habe die Pics auch schon großziehen lassen! Es ist ganz deutlich zu erkennen! Wenn ich jetzt noch das OK von Ihnen bekomme, lasse ich sämtliche Läden in der Stadt checken!“ (Komm schon, wenn Du zu blöd für diesen Fall bist..) „Verdammt, OK, OK, OK!“ Schrie es förmlich aus ihr heraus! Diese arme lächerliche Wurst.

„Isse scheiße, merda“ Schon wieder Arsen, dachte sich Peppino, der beim beim angesagtesten italienischen Caterer der ganzen Stadt für die Desserts zuständig ist! „Stronzo, solle lieber futtere selber diese Dreck!“ Claudia hatte diesen speziellen Auftrag aber nicht für sich selber aufgegeben. So, und nur so konnte sie Ihren gehassten Mann, der ihr die letzen 20 Jahre versauert hatte, loswerden. „5 mila Euro! Zu wenige Gelde! Puttana! Isse meine letzte Male mache so eine merda von Dessert.“ Er hatte gerade auf den gedruckten Lieferschein sein Kürzel gekrakelt, als ich mit meinen 4 Jungs, die normalerweise auf der Robert Mayer Allee die Falschparker abschleppen lassen, in die Backstube hereinkam - mit einem von Staatsanwalt Johannes Rüter unterzeichneten Durchsuchungsbefehl. Der Rest schien einfach. Peppino Carozza war, nachdem er das Foto der Toten und der am Boden liegenden Dessertschachtel von seinem Deli Laden gesehen hatte, schnell geständig. Zu dumm vom Mörder, dass er die Schachtel übersehen hatte. „...und den Anwalt kannst Du Dir ja jetzt gut leisten, amico mio!“ Heulend und vor allem fluchend wurde er in den VW Transporter eingesperrt. Er hatte keine Namen genannt. Good guy. Seine Familie in Calabrien würde es ihm für immer danken.

Meine Camel schmeckte mir heute besonders gut. Als ich alleine an der Haustüre stand und dem Transporter hinterher schaute, wusste ich, dass ich zwar die Million verloren hatte, aber Igor in Moskau und Caprese in Mailand würden ebenfalls zufrieden sein. Auf der Polizeiakademie hatte mir niemand erzählt, dass Raffgier bei Bullen eigentlich ein eigenes Fach verdienen würde. Ich hätte wahrscheinlich ein Dozent in diesem Fach sein können. Jetzt musste ich nur noch die Alte vom Rentner auszahlen, sonst könnte sie mir noch alles vermasseln, und den Vorstadtboss, den sie Chef nennen, samt seinem hirnlosen Cousin ins Paradies befördern. Özdemir, in Alanya bekannt für seine blitzsaubere Hammermethode, sollte schon gelandet sein.

Bulle sein kann manchmal richtig Spaß machen.


© 2005 by team fabula

Abbildung: Familienidyll mit Hund - Gemalt von - Henri de Toulouse-Lautrec